Welcher Sprachlerntyp sind Sie?

Sprachen sind etwas Schönes. Sie sind das Tor zur Welt, sie verbinden Menschen über Grenzen hinweg und sie ermöglichen es einem, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Anders als manche Menschen behaupten, kann man mit dem Wissen um Sprache sogar Geld verdienen (zum Beispiel hier).

Besonders in Zeiten globaler Quarantäne, in der jeder nach Abwechslung sucht, lohnt es sich, aus eigenem Antrieb eine neue Sprache zu erlernen. Und immer öfter schweift der Blick dabei über den gesamten Globus. Ich persönlich freue mich darüber, wenn Leute Koreanisch lernen, weil sie gerne K-Pop hören, anstatt aus Karrieregründen eine (dem Koreanischen in Nichts nachstehende) zufällige europäische Sprache zu wählen.

Oft sind es individuelle Gründe, weshalb die Wahl auf eine bestimmte Sprache fällt. In der Wahrnehmung Vieler ist einer dieser Gründe scheinbar weniger persönlich, da er vermeintlich objektiv ist: Die Frage nach dem Schwierigkeitsgrad einer bestimmten Sprache. Zwar gibt es leichtere und schwierigere Sprachen, jedoch würde ich behaupten, dass diese Bewertung subjektiver ist, als man denkt.
Ein wesentlicher Punkt ist dabei, so vermute ich, die Kombination aus individuellem Lerntyp und dem Sprachentyp. Grundsätzlich sollte man sich fragen, ob man lieber auswendig lernt, oder ob man einen logisch-regelbasierten Lernansatz bevorzugt. Natürlich gibt es auch hier Abstufungen, erfahrungsgemäß scheinen jedoch viele Leute eine Präferenz für eine der beiden Formen zu haben. In diesem Beitrag orientiere ich mich an der klassischen morphologischen Sprachtypologie nach August Schlegel und Wilhelm von Humboldt. Ohne eine wissenschaftliche Diskussion anstoßen zu wollen sei vorab erwähnt, dass es eine Reihe von alternativen und vor allem moderneren Theorien gibt.

Wenn Sie gerne Dinge auswendig lernen und wenig an Freude an Grammatik und Regeln haben, dann sollten Sie eine analytische Sprache in Betracht ziehen. Dank einfacher oder nicht vorhandener Morphologie sind Wörter meist unveränderlich. Die Grammatik ist auf ein notwendiges Minimum beschränkt, was oft, aber nicht immer bedeutet: Kein grammatisches Geschlecht, kein Kasussystem, keine Verbkonjugation, wenige Unregelmäßigkeiten. Außerdem kann man sich auf einen konstanten Satzbau verlassen. Der Nachteil an diesen Sprachen ist, dass sich wenig unbekannte Wörter ableiten lassen und dass viele Wörter aber auch Strukturen auswendig gelernt werden müssen. Dies gilt vor allem für die Unterkategorie der isolierenden Sprachen.

Bekannte Vertreter dieser Kategorie sind z.B. Thai, Yoruba und alle sinitischen Sprachen („Chinesisch“). Erwähnenswert sind an dieser Stelle auch eine Vielzahl an Kreolsprachen, wie man Sie zum Beispiel auf Réunion, Jamaica oder den Kapverden findet. Vieler dieser Attribute treffen weiterhin auf das Englische zu, die Klassifizierung des Englischen diesbezüglich ist jedoch nicht ganz einfach ist.
Sollten sie ein Freund von Regeln sein, oder wenn Sie Dinge gerne systematisch angehen, dann sollten Sie sich das Gegenstück zu den analytischen Sprachen genauer ansehen: Die synthetischen Sprachen. Diese zeichnen sich durch viel Morphologie und umfangreiche Grammatiken aus. Hier stehen Wortwurzeln im Zentrum, die nach Bedarf verformt und miteinander verbunden werden können. Besonders auffällig ist die Untergruppe der agglutinierenden Sprachen. Diese strotzen meist vor Reglements, die trotz ihrer Komplexität häufig erstaunlich wenig Ausnahmen beinhalten. So kennt das Japanische beispielsweise nur drei unregelmäßige Verben. Das hat für Lernende dieser Sprachen zum Vorteil, dass unbekannte Wörter verstanden werden können, wenn man deren Wortwurzel und grammatische Struktur kennt und erkennt. Auf der Kehrseite der Medaille könne diese Sprachen manchmal etwas überwältigend sein. Einzelne Wörter müssen manchmal mit ganzen Sätzen übersetzt werden. Und wer bei längeren Sätzen den Bezug einzelner lexikalischer Elemente im Eifer des Gefechts aus den Augen verliert, der wird schnell den Sinn der Sätze missverstehen.

Sollte Ihnen dieses Prinzip zusagen, dann sind sie mit Türkisch, Japanisch, Ungarisch, Finnisch, Swahili, Koreanisch, Zulu und je nach Argumentation auch Persisch gut beraten. Diese Sprachen haben oftmals kein grammatikalisches Geschlecht, dafür interessante Alternativkonzepte wie Vokalharmonie oder Nominalklassen. Wenn Sie absolut nicht genug von Morphologie und unendlich langen Wörtern bekommen können, sollten Sie allerdings eine polysynthetische Sprache lernen. Diese sind vor allem deshalb schwer zu erlernen, weil Sprachschulen mit Quechua oder Abchasisch im Angebot eher rar gesät sind.

Unter den synthetischen gibt es noch eine weitere erwähnenswerte Gruppe: die flektierenden Sprachen. Diese lassen sich leider schwer einem bestimmten Lerntyp zuordnen. Das liegt daran, dass die Typologie weniger verallgemeinernde Aussagen über diese Sprachen zulässt. Allgemein ist die Gruppe etwas heterogener, um nicht zu sagen schwammig. Flektierende Sprachen vereinen außerdem die negativen Aspekte agglutinierender und isolierender Sprachen, also komplexe Grammatik und relativ hohen Lernaufwand. Das liegt nicht zuletzt daran, dass flektierende Sprachen oft viele Unregelmäßigkeiten aufweisen. Beispielhaft dafür sind Deutsch sowie die meisten slawischen Sprachen. Es gibt jedoch auch solche, die trotz komplexer Grammatik, verhältnismäßig regelmäßig sind. Darunter fallen Italienisch, Spanisch und Arabisch. Manche von ihnen haben im Vergleich zu ihren Vorgängersprachen Unregelmäßigkeiten, Kasus und Genus so stark abgebaut, dass ihre Grammatiken grundsätzlich unkompliziert sind. Das gilt für Hebräisch, Niederländisch, Afrikaans, Jiddisch und alle Festland-skandinavischen Sprachen. Nein, Isländisch ist und bleibt schwer. Aber was wäre das Leben ohne Ausnahmen? Isländisch ist und bleibt schwer.

Darüber hinaus gibt es jedoch noch ein paar weitere Faktoren, die man in Betracht ziehen sollte. Beispielsweise ist das Japanische auf dem Papier ein perfekter Kandidat für mich persönlich: Ich lerne agglutinierende Sprachen leichter als andere Sprachen und das Lautsystem der Sprache ist dem des Deutschen ähnlich. Als ich jedoch davon hörte, dass die Sprache mehrere Schriftsysteme hat, darunter das chinesische, sowie die Tatsache, dass es eine Vielzahl an Personalpronomina und anderen sprachlichen Faktoren gibt, die sozialen Status, Geschlecht und Alter kodieren, verging mir recht schnell die Lust. Gerade diese Punkte sind es jedoch, die die Sprache für andere so interessant machen. Von einem neuen Schriftsystem sollte man sich übrigens nicht allzu sehr einschüchtern lassen. Diese sind in der Regel schnell erlernt (bis auf das chinesische), und haben meist ihre ganz eigene Schönheit (auch das chinesische). Die Liste der weiteren Faktoren ist lang. Das Lautsystem einer Sprache kann das Lernen erschweren, ebenso wie soziologische Faktoren oder ungewohnte grammatikalische Strukturen wie Evidentialität . Nicht zuletzt ist auch die Nähe oder Verwandtschaft zu bereits bekannten Sprachen ein Aspekt, der das Lernen der einen oder anderen Sprache erleichtert. Und auch wenn die halbe Welt bereits einer westgermanischen Sprache mächtig zu sein scheint, lohnt es sich trotzdem, an dieser Stelle einen Blick über den Tellerrand zu werfen.


Über den Autor:

Daniel Nad, Project Manager at text&formEine geregelte Aneinanderreihung von Lauten, konserviert in abstrakten Zeichenfolgen mit tausenden, untereinander unverständlichen Varianten: Die menschliche Sprache ist faszinierend. Zumindest behauptet das unser Autor Daniel Nad. Als passionierter Sprachwissenschaftler und Mitarbeiter bei text&form erlebt er Sprache direkt – und freut sich, seine Passion mit anderen teilen zu können.